Autoritären Sozialismus konfrontieren

Die Basisgruppe Antifa aus Bremen hat einen Text mit Thesen über die autoritäre Linke veröffentlicht. Dabei haben sie festgestellt, dass es „uns schon an grundlegenden Begriffen zur Bestimmung dieses Phänomens [fehlt].

Die brauchen wir aber, so glauben wir, um uns diese Entwicklung nicht nur erklären zu können, sondern auch um sie vernünftig inhaltlich kritisieren und perspektivisch in ihren Einfluss beschränken zu können“. Nicht nur emanzipatorische kommunistische Gruppen, sondern auch autonome und anarchistische Zusammenhänge müssen dahingehend meiner Ansicht nach ihre Kritik, Vorstellungen und Alternativen schärfen.

Um den sogenannten K-Gruppen, BSW und anderen autoritären Erscheinungen begegnen zu können, gilt es, sich nicht vorrangig Identitäts-bezogen von diesen abzugrenzen, sondern zu verstehen, warum sie sich so ausbreiten können.

Daher möchte ich einige Anmerkungen und Überlegungen, anknüpfend an die Thesen der Basisgruppe Antifa, anstellen, um mich an der Diskussion zu beteiligen. Mein Standpunkt ist dabei der eines synthetischen Anarchismus; meine Kritik solidarisch gemeint.

1) Autoritäre linke Strömungen sind auf dem Vormarsch

Der Begriff „autoritär-kommunistisch“ trifft auf die kritisierten Gruppen auf jeden Fall zu, da er in seiner inhaltlichen Bestimmung eine adäquate Beschreibung für die Organisationsform, das Wahrheitsverständnis und den Führungsanspruch der verschiedenen autoritären Polit-Sekten ist. BSW kann zutreffend als autoritär-sozialdemokratisch beschrieben werden.

2) Die Kategorie des Autoritarismus als verkürzte Entgegensetzung von Individuen und Gesellschaft

Die Kategorie „autoritär“ wird häufig in Bezug auf Staat angewandt, in dem Sinne, dass vor „autoritären“ Staaten gewarnt wird. Aus anarchistischer Sicht ist dies irreführend, denn der Autoritarismus gehört zum Wesen des politischen Herrschaftsverhältnisses wie der Zentralismus und das Prinzip der Hierarchie mit seiner Gehorsamspflicht. Im Kern begründen autoritäre Handlungen die Souveränität des Staates, insofern es gerade die Willkür und Gewalt ist, die Legitimität und Zwangsbefriedung einrichtet.

Die Gegenüberstellung von „Individuen“ und „Gesellschaft“ ist ein konstruierter Widerspruch, der zwar die bürgerliche Gesellschaftsform beschreibt, aber tatsächlich in ihren Kategorien verbleibt, statt diese zu verlassen. Dass Einzelne Produkte ihrer gesellschaftlichen Verhältnisse und sozialen Umgebung sind und darin trotzdem subjektive Handlungs- und Gestaltungsmöglichkeiten haben, ist eine Binsenweisheit. Selbstverständlich ergibt eine Kategorie wie Autoritarismus mit den entgegengesetzten Polen „autoritär/antiautoritär“ nur Sinn, wenn sie in einer spezifisch-historischen Gesellschaftsform verstanden wird – weswegen „antiautoritär“ im Jahr 1872 graduell etwas anderes bedeutete, als heute und in der BRD heute etwas anderes bedeutet, als in Russland oder China.

3) Eine involvierte Gesellschaftsanalyse ist gar nicht vertrackt

Gesellschaftsanalyse sollte nicht nur „gesellschaftliche Entwicklungen und ihre historischen Prozesse“ beschreiben, sondern auch Herrschaftsverhältnisse, ihre Auswirkungen und parallel vorhandene Alternativen zu ihr. Deswegen sollten wir vom staatlichen Kapitalismus, von weißer Vorherrschaft, Patriarchat und Naturbeherrschung sprechen. Dahingehend ist es nicht besonders „vertrackt“ wie die Basisgruppe Antifa meint, dass man die Diskussion über Autoritarismus nicht allein in Richtung Individuum oder Gesellschaft auflösen könne. Bei dieser Entgegensetzung handelt es sich leider um eine schematische Kopfgeburt, welche vermutlich sogar der Erfahrung vieler Menschen widerspricht.

4) Die kauzige Außenseiterrolle der Gesellschaftskritiker*innen

Gesellschaftskritik erscheint nur denjenigen als „antigesellschaftliche Tätigkeit“, welche das Privileg haben, sich fernab von alltäglichen gesellschaftlichen Prozessen sehen zu können und sich daher in ihrem Selbstverständnis für intellektuell „unabhängig“ halten. Offensichtlich ist, dass Gesellschaftskritik einer Distanzierung bedarf, welche bestimmte Voraussetzungen aufweist, die viele Menschen aufgrund ihrer Einbettung in den Produktionsprozess und/oder ihrer ideologisch-affektive Verhaftung in die Herrschaftsordnung nicht vornehmen können.

Insofern kann die Schlussfolgerung „Streng genommen wäre damit die einzig mögliche Form der Abschaffung dieser Gesellschaft ein gleichzeitiger, gesamtgesellschaftlicher Suizid“ nur als idealistische Gedankenspielerei bewertet werden. Denn der Suizid kann nur als logische Konsequenz missverstanden, wenn man die graduelle Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse im Grunde genommen für unmöglich erachtet.

Auch die emanzipatorischen Kommunist*innen kranken dahingehend an ihrer Totalisierung der gesellschaftlichen Totalität. Stattdessen könnten sie wesentlich pragmatischer an die Sache heran gehen und einsehen, dass es auch im Rahmen der bestehenden Herrschaftsordnung stets marginalisierte Alternativen zu ihr gibt. Als „vertrackt“ kann man dies nur bezeichnen, wenn man – trotz behaupteten Wissens darum – sich selbst als Subjekt gerade nicht als als Teil der Gesamtgesellschaft begreift.

Statt sich in vagen Abstraktionen über die hypothetische Aufhebung einer Gesellschaftsform als Ganzes zu verlieren, wäre es ein Gewinn, erst einmal von den Herrschaftsverhältnissen Kapitalismus, Staat, Patriarchat, weißer Vorherrschaft und Naturbeherrschung auszugehen, diese zu benennen und sich antagonistisch zu ihnen zu verorten.

5) Dialektische Taschenspielertricks

Der scholastischen Denkweise der Basisgruppe Antifa zufolge würden die Adjektive „autoritär“ und „antiautoritär“ zwei „logische und damit abstrakte Pole“ beschreiben. Dies ist aus anarchistischer Perspektive Humbug. Denn beides sind vorfindliche Weisen, zu denken, zu empfinden, Organisationen und soziale Beziehungen zu strukturieren. Es geht also um die Praktiken, welche bestimmte Menschen und Gruppen ausführen und nicht vorrangig um eine abstrakte Polarisierung, wie die Autor*innen glauben.

In Verbindung mit ihrer schematischen Entgegensetzung von vereinzelten „Individuen“ und holistischer „Gesellschaft“ (die wie erwähnt von den meisten Angehörigen auch der bestehenden Gesellschaftsform in dieser Reinform keineswegs so empfunden wird), gelangen die emanzipatorischen Kommunist*innen damit zum Fehlschluss, unter autoritär, die Auflösung des Gegensatzes Richtung „Gesellschaft“ zu denken, während sie annehmen antiautoritär hieße, diesen konstruierten Widerspruch in Richtung „Individuen“ aufzulösen.

Mit diesem intellektuellen Taschenspielertrick, kommen sie zum Ergebnis, dass sie eigentlich keine „antiautoritären Linken“ seien. Dies ist richtig, aber aus anderen Gründen. Denn auch mit antiautoritären Positionen möchte man die Gesellschaftsform als Ganze verändern statt lediglich – wiederum abstrakt – Individuen zu befreien. Der Grad der Selbstbestimmungsmöglichkeiten aller Einzelnen bleibt – entgegen dem liberalen Individualismus – trotzdem ein wesentlicher Indikator für die Emanzipation der Gesellschaft insgesamt. Streng genommen muss man der Basisgruppe Antifa deswegen die Frage stellen, ob sie in ihrer Denkweise nicht genau die bürgerliche Ideologie reproduzieren, welche sie zu dekonstruieren glauben.

6) Zum historischen Gedächtnis der antiautoritären Bewegung

Das historische Gedächtnis der Basisgruppe Antifa ist ungenau. Die Bezeichnung „antiautoritär“ wurde von jenen Strömungen innerhalb der Ersten Internationalen Arbeiterassoziation in Abgrenzung zum „autoritären“ Kurs der mehrheitlich deutschen und englischen Sozialdemokrat*innen gewählt. Nach dem intriganten Ausschluss von Michael Bakunin und James Guillaume mündete diese Sichtweise (die sich auch an Frage der Abschaffung des Erbrechts, der revolutionären Subjekte, der Übergangsgesellschaft und dem Verhältnis zum Staat festmachte) in die Gründung der Antiautoritären Internationale in Saint-Imier 1872. – Dies war wohlgemerkt um die 50 Jahre vor Lenins Revolutionstheorie und seiner Abwertung des antiautoritären „linken Radikalismus“ als „Kinderkrankheit des Kommunismus“, wie seine Kampfschrift von 1920 heißt.

Hierbei ist zweierlei zu beachten: Erstens wurde und wird auch die Sozialdemokratie von Anarchist*innen aufgrund ihres Autoritarismus kritisiert und nicht lediglich ihre bolschewistische / parteikommunistische Zuspitzung (mit oder ohne Russische Revolution). Zweitens richtete sich die Bezeichnung antiautoritär gegen eine Gesellschaftsform, die in ihrer Gesamt als „autoritär“ verstanden wurde, insofern in ihr die Form des bürgerlichen modernen Nationalstaates umfangreich durchgesetzt wurde.

Der moderne bürgerliche Staat zeichnet sich dadurch aus, dass er weltweit gegen Widerstand als dominante Form politischer Organisation durchgesetzt wurde; dass er sich in alle möglichen gesellschaftlichen Bereich erstreckt und diese zu regulieren beansprucht; dass er sich als kapitalistischer Staat konstituiert, damit die bürgerliche Rechtsordnung umsetzt und bürgerliche Individuen als Staatsbürger*innen (statt als Untertanen) adressiert; also, dass er eine ihm zugeordnete Bevölkerung hervorbringt und formt, die er vermittels der Zivilgesellschaft organisiert und adressiert.

Wer die Verwendung des Adjektivs „antiautoritär“ verstehen will, muss in der Geschichte also weiter zurückgehen, als zu den Flügelkämpfen während der Frühphase der Russischen Revolution von 1917-1921. Richtig ist dennoch, dass sich das „antiautoritäre“ Lager immer in Abgrenzung und in Bezug zu explizit autoritären Politikverständnissen und -stilen versteht und damit gewissermaßen eher sein Widerschein oder Korrektiv bleibt, statt selbstbestimmte Positionen hervorzubringen.

Damit gelingt es zu wenig, die identitären Positionierungen hinter sich zu lassen, wie sie allzu oft in der gesellschaftlichen Linken vorhanden sind und die sich durch postmoderne Diskurse zugespitzt haben. (Siehe dazu auch Der Begriff „antiautoritär“ ist nicht genug [https://paradox-a.de/allgemein/der-begriff-antiautoritaer-ist-nicht-genug/])

7) Lenin als ideale Gesamt-Führungsfigur

Lenin interessiert als Person eigentlich nicht besonders. Ebenso wenig sollte man sich an anderen autoritären Führungsfiguren wie Trotzki, Stalin oder Mao abarbeiten. Zu begreifen ist allerdings, warum derartige Führungsfiguren, ihre Kadergruppen, Politikstile, ihre Gewaltanwendung und Intriganz sich im Zuge der Verfallserscheinungen von sozialen Bewegungen durchsetzen konnten und können. Wenngleich es nicht „den“ Leninismus schlechthin gibt, wie die Basisgruppe Antifa zurecht feststellt, gilt es jedoch den Leninismus überhaupt zu kritisieren, statt ihn in einen vermeintlich guten oder zu rechtfertigenden (weil „erfolgreichen“) und einen falsch verstandenen und zu verwerfenden (weil „sektiererisch“) zu unterteilen.

Die Frage, welche sich „antiautoritäre Linke“ und Anarchist*innen gleichermaßen stellen müssen ist hingegen jene, wie sie mit der Tatsache umgehen, dass die herrschenden Klassen ihre Privilegien niemals freiwillig oder durch demokratischen Druck, sondern nur durch den Aufbau einer stabilen Gegenmacht und den Einsatz von Gewalt, abgeben werden. In diesem Sinne ist der Leninismus als „Verlaufsform“ des „politischen Lebens“ zu verstehen – er füllt die Lücke, welche sich emanzipatorisch gesinnte Menschen nicht zu thematisieren trauen, indem er – autoritär – ein Primat des Politischen verordnet und damit die Mittel den Zwecken unterordnet.

8a) Das Primat des Politischen im autoritären Sozialismus und seine Wahrheit

Ja, Leninist*innen sehen in der Kaderpartei ein autoritäres Vehikel, um die Revolution voranzutreiben und diese Denkweise ist eminent voluntaristisch. Mit ihr wird davon ausgegangen, „die Revolution“ könne „gemacht werden“ und sie „zu machen“, wäre entschiedene Aufgabe der Revolutionär*innen. Wie so oft überrascht es deswegen nicht, dass gerade dieser Voluntarismus in einer Projektion den Anarchist*innen unterstellt wird – was wiederum schon auf die Sozialdemokrat*innen zurückreicht, welche erbost darüber waren, dass sich das anarchistische Lager nicht in die von ihnen „wissenschaftlich“ analysierten, „objektiven“ Bedingungen gesellschaftlicher Transformationsprojekte, eingliedern wollte. Die Wahrheit des autoritären Sozialismus besteht darin, dass mit ihm ernsthaft der Frage nachgegangen wird, wie eine revolutionäre Organisationsform aufgestellt sein müsste, wenn mit ihr die eiserne Härte der Herrschaftsinstitutionen und die Skrupellosigkeit der herrschenden Klassen ernst genommen wird.

8b) Anti-Imperialismus als integraler Bestandteil neoleninistischer Gruppierungen

In Hinblick auf die These acht-b ist zunächst ein längerer gedanklicher Schlenker zu vollziehen, bevor man nachvollziehen kann, wieso der leninistische Anti-Imperialismus letztendlich eine Attraktivität des autoritären Denkens für Linke begründet. Der leninistische Anti-Imperialismus kann schon in den 1920er Jahren kritisiert werden, ist allerdings in seinem Kontext zu sehen. Ihn heutzutage zu reproduzieren, wie es durch die K-Gruppen geschieht, zeugt eben nicht von deren historischem Bewusstsein, sondern ihrer instrumentellen Fetischisierung von Geschichte.

Gleichwohl erweist sich leider auch die Basisgruppe Antifa mit ihrem Verweis auf die „Theoretiker*innen der kritischen Theorie und von 68ff.“ als kritisch-theoretisch hängen geblieben. Zwar ist dies ein pauschaler Vorwurf, aber im Kontext durchaus anzubringen, dass mit der feministischen, postkolonialen, poststrukturalistischen, abolitionistischen und anarchistischen Theorieentwicklung der letzten dreivier Jahrzehnte durchaus Neuerungen vorhanden sind, welche es zu beachten gälte.

Das Argument, dass die vermeintlichen „Wahrheiten“ der autoritären Kommunist*innen überzeugend wären, weil die Theorieentwicklung auf emanzipatorischer Seite nicht fortgeschritten genug sei, ist meines Erachtens nach falsch. Die Basisgruppe Antifa verkennt eine wesentliche Einsicht der Kritischen Theorie: Die Attraktivität der autoritär-kommunistischen Positionen besteht eben nicht in ihrer theoretischen Unterfütterung, die als vermeintlich klare Wahrheiten ausgegeben werden können, sondern darin, dass sie auch die Theorie letztendlich durch ihre Ideologie instrumentalisieren – und damit die Analyse den vorab festgesetzten Handlungsmaximen unterwerfen.

Nicht Ideologie als solche ist dabei das Problem, sondern ihre Naturalisierung und Essentialisierung, ihr normativer Moralismus und epistemologische Verengung. Mit anderen Worten gilt es Ideologie in ihrem spezifisch-historischen, gesellschaftlichen Kontext zu verstehen und bewusst und transparent zu machen, um mit ihr emanzipatorisch umzugehen. Dies liegt den autoritären Kommunist*innen allerdings fern, denn dadurch würde das kritische Denken ihrer Anhänger*innen und das Bewusstsein der Aktiven in sozialen Bewegungen gestärkt werden – weswegen sie sich nicht anführen lassen, sondern selbstbestimmt und autonom handeln wollen würden.

Daher muss man hinter die vermeintlichen „Wahrheiten“ der leninistischen Strömungen schauen, um verstehen zu können, was es bedeutet, dass der Kapitalismus grundsätzlich globalisiert ist – nicht erst seit den 70er oder 80er Jahren, sondern bereits während seiner Verbreitung im 19. Jahrhundert. Die Basisgruppe Antifa verstrickt sich dahingehend leider in Unterstellungen.

Sicherlich würden autoritäre Kommunist*innen nicht die Vorstellungen teilen, dass „jeder Ort der Welt […] abstrakt gleichermaßen ein möglicher Ort der beginnenden Weltrevolution“ wäre und die Partei aus diesem Grund „immer eine Internationale sein“ müsse. Vielmehr wird der real vorhandene Transnationalismus der sozialistischen Bewegungen aufgegriffen, der vor und während den Weltkriegen schrecklich gelitten hatte. An ihn wird appelliert, weil es schlichtweg logisch ist, dass Emanzipationsprozesse in globaler Verwobenheit stattfinden. Keine Arbeiter*in in der BRD ist frei, wenn die auf Kosten der Arbeitsbedingungen in China geschieht, keine queere Person in Westeuropa frei, wenn ähnlich positionierte Personen in Russland oder Ghana verfolgt werden etc..

Die von der Basisgruppe Antifa unterstellte „Sprachlosigkeit“ oder theoretische „Oberflächlichkeit“ der antiautoritären Linken ist zwar real, scheint jedoch insbesondere diese selbst zu betreffen. Denn es gibt allerlei Antwortversuche auf die Frage nach globalen gesellschaftlichen Alternativen, nach Organisationsformen und Transformationsstrategien – man müsste sich nur mit den real-existierenden sozialen Bewegungen auseinandersetzen. Die antifaschistische Szene bleibt allzu oft monothematisch in ihrem Horizont hängen.

9) Autoritäre Pseudo-Lösungen und Sehnsuchtsobjekte über den „Rechtsruck“ hinaus

Verständlicherweise haben autoritäre Lösungsangebote dort Hochkonjunktur, wo die Gesellschaftsform von massiven Krisen in Bezug auf Kriege, Inflation, Pandemien etc. erschüttert wird. Dies ist eine plausible strukturelle Erklärung für den jüngeren Aufstieg des autoritären Kommunismus. Gleichzeitig muss man den kritisierten Gruppierungen auch lassen, dass sie sich ganz gut organisiert und vehement agitiert haben.

Mit anderen Worten leben ihre Kaderpersonen für ihre Überzeugungen – und das übt große Anziehungskraft auf desorientierte Angehörige einer diffusen gesellschaftlichen Linken aus, die dem Hedonismus, der Pseudo-Klandestinität und linksliberalen Deutungsangeboten frönt. So bedienen die K-Gruppen das Bedürfnis (insbesondere auch jüngerer Menschen), in all der Verwirrung eine klare Kante aufzuzeigen und sich rebellisch fühlen zu können. Dies tun sie, ohne, dass ihre Anhänger*innen im besten Sinne militant, also aufgeweckt und lebendig werden müssen. So tun es, ohne, dass ihre Fans wirklich radikal, das heißt gesellschaftskritisch und selbstreflektiert, werden müssen.

Eine wichtige strategische Entwicklung scheint dahingehend zu sein, dass die verschiedenen K-Gruppen nicht mehr – wie teilweise in früheren Jahrzehnten – einen großen Teil ihrer Energie darauf verschwenden, sich unter dem Vorzeichen des „Opportunismus“ und „Revisionismus“ gegenseitig zu zerfleischen. Sie haben in ihrem Lager kooperieren gelernt, beziehen sich aufeinander und scheinen bisweilen auch arbeitsteilig vorzugehen.

Ihre verkürzte Ideologie ist deswegen wirksam, weil sie in vielerlei Hinsicht falsch ist. Sie steht anachronistisch gegen den Zeitgeist, wobei sie mit ihrer Glorifizierung einer vermeintlich erfolgreichen kommunistischen Revolution in Russland, nicht lediglich rückwärtsgewandt ist. Vielmehr schafft sie einen transzendenten Bezugspunkt in der imaginären Projektion einer ganz anderen gesellschaftlichen Totalität – und motiviert deswegen für ein politisches Projekt, dass eine geordnete Zukunft verspricht.

Mit der Bezugnahme auf den Begriff des „Rechtsrucks“ erliegt die Basisgruppe Antifa leider einer verkürzten Denkweise, wie sie in der bürgerlichen Öffentlichkeit und zivilgesellschaftlichen Diskussionen geprägt wurde. Zweifellos haben rechtspopulistische und neofaschistische Akteure und Parteien in ganz Europa in den letzten Jahren Erfolg um Erfolg verbuchen können und werden in mehreren europäischen Nationalstaaten an der Regierung beteiligt werden oder diese gar anführen.

Dies ist vor dem Hintergrund eines globalen Trends zu verstehen, denken wir an die Regime von Trump, Bolsonaro, Milei, Erdogan, Putin, Modi, Xi Jinping und Ferdinand Marcos. Mit keinem Wort thematisiert die Basisgruppe Antifa die Schwierigkeiten der Kapitalverwertung, die spürbaren Auswirkungen des Klimawandels, die Notwendigkeit der Flucht von Millionen Menschen, die unglaublich weit auseinander klaffende Reichtumsverteilung, die Ausweitung des Krieges und den systematischen Ausbau von Überwachung und Repression seit der Jahrtausendwende.

Alles in allem handelt es sich hierbei nicht um einen bloßen „Rechtsruck“, sondern um eine Zunahme des Autoritarismus als gesellschaftliches Phänomen, aber ebenso hinsichtlich der Ausgestaltung von Staatsformen. Dass die Basisgruppe Antifa in Hinblick auf die Gründung und Popularität von BSW ebenso wie beim Wiedererstarken K-Gruppen betont, dass diese dennoch „links“ seien, ist banal. Denn „links-sein“ und autoritär denken und handeln waren noch nie die Gegensätze, für die sie aufgeklärte Kommunist*innen halten mögen.

10) Deutsch ist der korporatistische Geist

Der „deutschen Sonderweg“, welchen die Basisgruppe Antifa in Hinblick auf das Wiedererstarken der K-Gruppen sieht, erscheint ihnen tatsächlich nur selbst so. Tatsächlich korreliert der Aufstieg teilweise finster-reaktionärer, autoritär-kommunistischer Gruppierungen auch in Spanien und Griechenland mit dem Ausnahmezustand und den Diskursen während der Corona-Pandemie. Des Weiteren mag es sein, dass die Basisgruppe Antifa zuvor so gut wie keinen autoritären K-Gruppen in „außerparlamentarischen Bewegungen und sozialen Kämpfen in Deutschland der letzten Jahrzehnte“ begegnet ist.

Hätten sie die Augen aufgemacht und sich etwas weiter umgeschaut, hätten sie feststellen können, dass kontinuierlich autoritäre Tendenzen in der gesellschaftlichen Linken vorhanden waren, die über ein paar Sekten-Spinner und hängen gebliebenen Stalin-Fans hinaus gingen.
Mit ihrer Vorstellung eines vermeintlich „deutschen Sonderweges“, schieben sie leninistische Politikstile letztendlich dem DDR-Regime unter und versuchen damit auch die Marginalität linksautoritärer Strömungen bis in die jüngere Zeit zu erklären.

Dabei ignorieren sie die Tatsache, dass es auch in ihrem eigenen Milieu stets autoritäre Tendenzen gab und ein Umkippen des antiautoritären Habitus in autoritäre Einstellungen immer eine Option war. Allzu oft blieb der Antiautoritarismus ein Reflex des Aufbegehrens, statt eine Position zu sein, die sich gegen eine autoritäre Formierung der Gesellschaft richtet. Der vermeintliche „deutsche Sonderweg“ besteht nicht darin, dass die K-Gruppen lange Zeit in sozialen Bewegungen keine Rolle gespielt haben, sondern darin, dass es (im Unterschied etwa zu allen osteuropäischen Ländern, aber auch in Griechenland und den USA) keine klare Distanzierung gegenüber autoritärem Kommunismus gegeben hat.

Ironischerweise liegt dies an der traditionellen Dominanz sozialdemokratischer Prägung in der deutschsprachigen Linken. Entgegen aller verbalradikalen Rhetorik, wurde das eigene Agieren in Wirklichkeit nur selten gegen oder jenseits, sondern meistens in Bezug auf staatliche Politik gedacht. Der korporatistische Geist hat sich weitgehend durchgesetzt. Dies geschah und geschieht durch die staatliche Finanzierung von Bildungsprojekten und sozialen Zentren, die ausgeprägte Verregelung und Verrechtlichung aller möglichen gesellschaftlichen Bereiche, die Partizipationsmöglichkeiten in einer zumeist handzahmen Zivilgesellschaft, sowie durch die Einbeziehung von NGOs in den politischen Prozess.

Deswegen entwickeln linke Gruppen eine mangelnde Initiative und ein geringes Bewusstsein über sich selbst. Damit verbunden ist eine nur spärlich ausgeprägte Vorstellung davon, was es bedeuten würde, sich selbst, autonom und präfigurativ zu organisieren.

Dennoch ist der Schlussfolgerung der Basisgruppe Antifa zuzustimmen, wenn diese schreiben: „In diesem Sinne lässt sich deshalb eher gerade von einer Angleichung der innerlinken Kräfteverhältnisse in der BRD im Zuge des Rechtsrucks an die weltweiten Verhältnisse sprechen. Nicht Abwehr oder Ignoranz, sondern die Einsicht in die Notwendigkeit des eigenen Nachholbedarfs in der Analyse und Kritik der autoritären Linken sind richtige Antworten hierauf“.

11) Emanzipation statt Autoritarismus durch Selbstkritik

Wie erwähnt ist das leninistische Primat des Politischen die theoretische Grundlage des instrumentellen und intriganten Agierens autoritärer Kommunist*innen. Ihr dogmatisches Wahrheitsverständnis verlangt nur einige theoretische Rudimente, legitimiert für sie aber nichts desto trotz ihren eigenen Führungsanspruch innerhalb linker Szenen und Bewegungen. Die Basisgruppe Antifa erklärt dies mit einer autoritären Auflösung eines „dialektischen Verhältnisses von Reform und Revolution“.

Élisée Reclus beschrieb bereits in einem Aufsatz von 1891, dass Reform und Revolution aufeinander verwiesen und zwei Momente des selben transformatorischen Prozesses wären. Als Anarchist verstand er diese aber dezidiert nicht als politische Reformen und Revolutionen – und skizzierte dahingehend bereits einen anderen Ansatz als jener in der Tradition von Rosa Luxemburg, auf welche sich die Basisgruppe Antifa bewusst oder unbewusst zu beziehen scheint.

Die Entgegensetzung von „Reform“ und „Revolution“, welche den K-Gruppen zu ihrer pseudoradikalen Selbstinszenierung und ihrem peinlichen, aber wirkungsvollen Selbstbewusstsein dient, ist in theoretischer Hinsicht grundlegend problematisch. Dies stellt die Basisgruppe Antifa auch eindeutig fest. Vor allem kann man sich mit diesem Schema nicht von der Fixierung auf den Staat lösen und verbleibt in den althergebrachten Konzepten einer (illusorischen) Übernahme der Staatsmacht durch Kadergruppen, der isolierten Szene-Distanz und/oder der sozialdemokratischen Vorfeldpolitik. In Auseinandersetzung damit entwickelten Anarchist*innen die Transformationsansätze von mutualistischer Selbstorganisation, Aufstand und Subversion, autonomer Bewegung und sozialer Revolution.

Diese dienen an dieser Stelle lediglich als Hinweis darauf, dass die wirkungsvollste Strategien, sich mit den K-Gruppen auseinanderzusetzen, darin besteht, eigenständige Transformationsstrategien zu entwickeln. Dies verlangt allerdings auch die Skizzierung von Fluchtpunkten zu einer anderen Gesellschaftsform, die als libertärer Sozialismus bezeichnet werden kann. In diesem Sinne ist der Basisgruppe Antifa absolut zuzustimmen, wenn sie schreiben:

„Als antiautoritäre Linke haben wir dagegen etwas materiell Nützliches zu den Kämpfen beizutragen. An die Stelle von Massenorganisationen, Schulungen und Parteiaufbau setzen wir Ideologiekritik und Selbstorganisation, Selbst- und Gesellschaftsveränderung als ein sich bedingendes, praktisches Verhältnis. Kämpfe um Verbesserungen statten wir so mit einer organisch aus sich heraus, perspektivisch über diese Gesellschaft hinausweisenden Perspektive aus. Reform und Revolution sind so kein Gegensatz, sondern werden zur gegenseitigen Bedingung, die ohne eine die sie führenden Partei auskommt, Befreiung zur Selbstbefreiung und damit überhaupt erst emanzipatorisch“.

Eine Kritik der autoritären Linken kann sinnvollerweise nur mit einer grundlegenden Selbstkritik einhergehen. Dabei ist ein Selbstverständnis als antiautoritär nicht ausreichend. Es braucht eine Stärkung des Bewusstseins über sich selbst, der eigenen Positionen und Perspektiven. Deswegen führe ich zum Abschluss dieses Beitrags eine Wahrnehmung von vier Strömungen der „antiautoritären Linken“ an.

Bei aller Kritik bleibt diese solidarisch, insofern davon ausgegangen wird, dass sich etliche Personen und Gruppen ernsthaft engagieren und unter teilweise schwierigsten Bedingungen einen klaren Kopf bewahren und selbständig denken und handeln.

- Anhänger*innen der Kritischen Theorie haben dahingehend versagt, dass sie mit ihrer dogmatischen Handhabung des Bilderverbotes, sowie mit ihrer häufig polemischen Feindseligkeit gegenüber sozialen Bewegungen, die verständliche Sehnsucht nach einer anderen Gesellschaftsform in den Bereich der Mythologie abgeschoben haben. Die historisch notwendige Skepsis der Antideutschen hat sich überlebt und sich seit Jahren als plumpe Arroganz verselbständigt mit der kein Blumenstrauß mehr zu gewinnen ist.

- Autonome und anarchistische Zusammenhänge haben insofern versagt, als dass aus ihrem Praxisfetischismus, ihrer Unverbindlichkeit, ihrem Individualismus und ihrer Diskontinuität keine seriösen Organisationsangebote hervorgehen. Was bleibt sind tendenziell subkulturelle Blasen, deren Angehörige zwar teilweise intensive Beziehungen pflegen und Aktionen hervorbringen, sich aber borniert nach außen hin abschotten. Dies ist zwar einer Eigendynamik geschuldet, allerdings ebenfalls Folge der anhaltenden staatlichen Repression und der medialen Hetze, mit welcher radikale Bestrebungen ins Szene-Ghetto verdrängt werden.

- Einige Aufbrüche gab es in den letzten anderthalb Jahrzehnten durch verschiedene „postautonome“ Gruppierungen, die mehrere erfolgreiche Kampagnen durchgeführt haben. Gleichwohl blieben ihre Strategien häufig aktionistisch und oberflächlich. In ihnen zeigte sich eine gewisse Unentschiedenheit zwischen außerparlamentarischer Vorhutbewegung und einer selbstorganisierten, nach Autonomie strebenden Bewegung, die sich selbst als handelnden Akteur begreift. Mit postautonom geprägten Kampagnen wurde tausenden von Personen die Erfahrung von kollektivem zivilen Ungehorsam ermöglicht und eine Generation von „Aktivist*innen“ geprägt. Gerade der Aktivismus steht jedoch für einen problematischen Politizismus, das heißt, für eine Fetischisierung von bestimmten Aktions- und Organisationsformen und von spezifischen Sprach-Codes. Dadurch geschieht eine Entkoppelung von den Interessen, Gefühlslagen und der Sprache eines großen Teils der Bevölkerung.

- Schließlich sind noch linksliberale Ansätze zu nennen, die unter anderem durch US-amerikanische Diskurse und die Funktionsweise von sozialen Medien weit verbreitet wurde und gleichermaßen auf die Ablehnung eher traditioneller Linker stoßen. Es ist billig, sich von diesen Ansätzen, welche insbesondere, aber nicht ausschließlich, in queerfeministischen und postkolonialen Bewegungen vorhanden sind, pauschal abzugrenzen. Mit ihnen wurden und werden progressive Entwicklungen möglich, wie etwa die jüngere Thematisierung queerer Lebensentwürfe und eine grundlegende Patriarchatskritik, der endlich umfassend Gehör verschafft werden konnte. Dennoch fehlt es in diesem Lager häufig an Gesellschaftsanalyse und -kritik und bleibt es dementsprechend anfällig für die Herrschaftsmechanismen der neoliberalen Technokratie.

„Emanzipation statt Autoritarismus“ ist die richtige Losung, die über antiautoritäre Reflexe hinaus verweist. Der Antiautoritarismus ist dennoch wiederum das Korrektiv für das sozialdemokratisch-korporatistische Politikverständnis, wie es insbesondere in der deutschsprachigen gesellschaftlichen Linken nach wie vor vorhanden zu sein scheint. Es gilt, dass eigene Projekt zu skizzieren. Dieses dient nicht dazu, ein abstraktes Programm zu entwerfen, dass man politisch durchsetzen möchte, sondern Orientierung zu erhalten, wofür wir kämpfen. Doch dazu an anderer Stelle mehr…